Kontroversen um Künstler*innen – wie gehen wir damit um?

 
Es ist Juli 2023 – Die Berliner Cappella hat gerade mit den Proben für die Aufführung des „Canto General“, einem Werk des Komponisten Mikis Theodorakis, basierend auf dem gleichnamigen Gedichtzyklus von Pablo Neruda, begonnen.

Da erreicht den Chor eine Information über die Person Pablo Nerudas, die den meisten Mitgliedern zuvor nicht bekannt war. In seiner Autobiographie beschreibt Neruda eine Szene, in der er selbst sexualisierte Gewalt an einer Frau ausübt. Wenig später kamen auch Vorwürfe zu antisemitischen Äußerungen von Mikis Theodorakis hinzu.

Diese Informationen lösten eine Diskussion aus. Über den Sommer meldeten sich viele Chormitglieder per Mail zu Wort. Zu Beginn der Probenphase nach den Sommerferien fand schließlich ein Chorgespräch dazu statt.

Im Zentrum stand die Frage, wie die Berliner Cappella mit dem persönlichen Fehlverhalten von Künstler*innen umgehen sollte, und konkret, welche Konsequenzen sich hieraus für das geplante Konzert ergeben.

Die Positionen zu diesen Fragen im Chor sind sehr unterschiedlich und die Spannweite reicht von dem Wunsch, das Konzert abzusagen bis hin zu der Auffassung, dass eine nicht sicher bewiesene und weit in der Vergangenheit liegende Tat keine Relevanz für die Aufführung des Werks haben könne.

Um die inhaltliche Auseinandersetzung im Chor für unser Publikum zugänglich zu machen, haben wir einige Stimmen eingefangen und zu einem gemischten Meinungsbild zusammengetragen.

Gleichzeitig möchten wir damit auch einen Beitrag zu der zunehmend aktuellen Debatte rund um (mutmaßliches) Fehlverhalten von Künstlerinnen und Künstlern und dessen Bedeutung für ihre Werke leisten. Die Beiträge spiegeln individuelle Meinungen wider und nicht eine einheitliche Haltung des Chores, die in dieser persönlichen Frage nicht gefunden werden konnte.

„Das Fehlverhalten ist nur eine Facette des Künstlers. Der künstlerische Wert des Stückes sollte unabhängig davon gesehen werden. Der Chor hat sich klar zum Fehlverhalten positioniert.“

„Fehler in der Vergangenheit – Fehler in der Gegenwart.“

„Auch der hochverehrte Neruda!? Es gab mir einen Stich ins Herz. Dann der Gedanke – warum aber sollte gerade er der Unfehlbare sein und können wir jemals nur Dinge gebrauchen, die von unfehlbaren Menschen geschaffen wurden?“

„Ich finde, dass unbedingt unterschieden werden muss zwischen „Fehlverhalten“ und einer Straftat. Für den konkreten Fall bedeutet das, dass sowohl eine Vergewaltigung als auch Antisemitismus strafbar sind und nicht als „Fehlverhalten“ gelten können.“

„Berühmte Künstler*innen haben viel Macht. Sexualisierte Gewalt ist Machtmissbrauch. Es ist wichtig, dass unser Chor – und alle Menschen – sich dessen bewusst ist. Gut, dass wir uns dafür den Raum gegeben haben.“

„Die Frage, was Fehlverhalten von Künstlern oder Künstlerinnen in mir auslöst, kann ich nur so beantworten: Nichts anderes, als was dies auch bei allen anderen Menschen mit mir auslöst.
Künstler sind keine moralischeren Menschen als Nicht-Künstler, nicht weniger potentiell abgrundtief, nicht besser. Aus diesem Grund plädiere ich bei der Rezeption von Kunst grundsätzlich auf eine strikte Trennung von Künstler und deren Werk. Allerdings nur dann, wenn das Werk inhaltlich oder strukturell nicht kontaminiert ist mit einem solchen wie auch immer gearteten Fehlverhalten. Dies ist beim CANTO GENERAL der Fall.(Anders sieht es etwa bei manchen Rappertexten etc. aus, wo frauenfeindliche, antisemitische, ausländer- oder schwulenfeindliche Haltungen Gegenstand der Texte sind, oder bei Nazi-Bildhauern wie Arno Breker mit ihren Übermenschen, wo moralisches Fehlverhalten sichtbaren Niederschlag findet im Werk.) Die Geschichte ist voll von unmoralischen Künstlern, deren Werke wir verehren, denen wir aber keinen Platz unter unseren Gästen eingeräumt hätten. Der Künstler, die Künstlerin entlässt sein/ihr Werk in die Welt und tritt hinter dessen Wirkmächtigkeit zurück. Er oder sie interessiert erst einmal weder Zuhörer noch Betrachter. Ein bedeutendes Werk ist immer größer als sein Urheber. Dieses Werk zu erleben, von ihm berührt oder zu Erkenntnissen gebracht zu werden, ist von Interesse. Die Beschäftigung mit dem Urheber ist nachrangig. Problematischer wird es bei noch lebenden Künstlern und Künstlerinnen mit eindeutigem Fehlverhalten: Ihnen im Konzertsaal oder im Opernhaus zuzujubeln, zwischen Mensch und Werkinterpretation zu trennen, ist bedeutend schwieriger und eine Gewissensentscheidung. Die Reflexion über das Thema ist dennoch von Interesse. Und die Präsentation dieser Reflexionen innerhalb des Chores im Zusammenhang mit der Aufführung des CANTO GENERAL ist eine – das Werk unberührt lassende! – Ergänzung, derer es zwar meiner Meinung nach nicht zwingend bedurft hätte aus o.g. Gründen, die aber einem möglichen Interesse am Menschen Pablo Neruda entgegenkommt. Explizit möchte ich meinen Respekt den Chormitgliedern gegenüber ausdrücken, die aus einer besonderen persönlichen Nähe zur Problematik der Gewalt oder auch aufgrund von eher theoretischen Überlegungen den CANTO GENERAL nicht mitsingen wollen oder können.“

„Jemand, der sich falsch verhält, sollte NICHT unterstützt werden. Was bedeutet Unterstützung bei KünstlerInnen? Bedeutet es dann, ein Stück oder Lied nicht zu singen? Ein Konzert nicht zu besuchen?“

„KünstlerInnen sind (auch nur) Menschen. Wenn ein Mensch sich falsch verhält wird er dafür verurteilt. Bei KünstlerInnen hängt mehr dran. Nämlich auch was sie geschaffen haben, was die Menschen vermissen würden, und nicht auch verurteilen wollen. Ein Mensch darf nicht, nicht verurteilt werden, nur weil er an anderer Stelle etwas geschaffen hat, was gut ist. Doch die Kunst fehlt dann eventuell. Denn jeder Mensch macht Fehler und würden wir alle Künste von allen KünstlerInnen, die Fehler gemacht haben, verurteilen nur aufgrund Ihrer Schaffer, gäbe es keine Kunst mehr, die wir bewerten können. Die Fehler und den Menschen verurteilen, aber das was er geschaffen hat vergöttern…schwierig.“

„Ich finde die Frage nach persönlichem „Fehlverhalten“ von Künstlern für dieses Konzert völlig irrelevant, peinlich und anmaßend. Wer sind wir, uns als Moralrichter über Neruda und Theodorakis aufzuspielen? Unerträglich finde ich es, dass freie Meinungsäußerungen von Theodorakis hier als „Fehlverhalten“ aufgeführt werden! Wohin sind wir gekommen? Künstler und Werk müssen unbedingt von einander getrennt werden! Wenn wir die großen Werke unserer Kultur nach dem vorbildlichen Charakter, der sittlichen Lebensführung und politisch korrekten Gesinnung ihrer Schöpfer (nach heutigen Maßstäben) beurteilten, bliebe wahrscheinlich nicht viel übrig. Im Werk wächst der Künstler über sich hinaus.“ Der neue Puritanismus und Hypermoralismus, der sich als Zeiterscheinung überall breit macht, die Herrschaft der Political Correctness hat etwas selbstzerstörerisches, weil wir damit unser kulturelles Erbe entwerten. Aus überbordender Selbstgerechtigkeit schneiden wir uns ins eigene Fleisch.“

„Mein Vorschlag ist, dass nach dem Tod einer Künstlerin, eines Künstlers das Werk von der Person getrennt werden sollte. Ohne diese Trennung ist meiner Ansicht nach praktisch jede Künstlerin / jeder Künstler von tatsächlichem oder vermutetem Fehlverhalten angreifbar.
Dies könnte eine möglicherweise weitreichende Bedrohung jeglicher Kunst zur Folge haben.“

„Die sexuelle Gewalttat an einer Frau verurteile ich ohne Wenn und Aber. Doch auch eingedenk dessen bleiben für mich als Frau die Bedeutung und die Kraft des „Canto General“ als großartiges musikalisches Gesamtkunstwerk und Zeitzeugnis in seiner Wirkung erhalten.“

„Cancel Culture ist falsch.“

„Kein „Burgschauspieler“, der Kinderpornographie besitzt, wird unabhängig von dieser Straftat als Schauspieler gesehen. Moralische Integrität kann bei der Beurteilung eines künstlerischen Werkes nicht ausgeblendet werden.“

„Ein Chor, der sich als politisch begreift, muss an seiner Werkauswahl bzw. den aufgeführten Künstlern gemessen werden, weil er „kanonisiert“ und ein Denkmal inszeniert, im Zweifel sollte er zumindest öffentlich Stellung beziehen, wenn nicht das Programm ändern.“

„Künstler sind Menschen. Menschen soll man nicht überhöhen und idealisieren! Deshalb ist es „egal“, wer Böses tut, ob Künstler oder sonst wer. „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“. Wir können nur versuchen, selbst an uns zu arbeiten. Diskussion o.k., ist nötig, aber böse Taten kann jeder. Aber eben jeder kann auch gut Taten und was wir hier aufführen ist ein eher „gutes“ Kunstwerk.“

„Peter Schwarz hat gesagt: „Wir singen die Musik von Opfern, nicht die Musik von Tätern.“ (Deshalb singen wir z.B. nicht die Carmina Burana) Bei Neruda handelt es sich offenbar um beides. Täter in einem Fall sexuellen Missbrauchs und Opfer von politischer Verfolgung und Unterdrückung. Deshalb ist die Debatte sinnvoll.“

„„Juden sind die Wurzel des Bösen“ fällt nicht unter Meinung. Es ist eine Haltung. Sie ist verachtenswert, widerlich, ein Ausweis geistigen Verfalls und der Absenz von Solidarität. Gleiches ist von einer Vergewaltigungstat zu sagen. Künstler machen sich ebenso schuldig oder nicht wie jeder Mensch; unsere Frag ist, wie wir diese Schuld in Verhältnis zu ihrem Werk zu bewerten haben. Das Leben eines Menschen ist von seinem künstlerischen Ausdruck nicht zu trennen, der aus seiner Lebenserfahrung, seinem Charakter, seiner politischen Haltung erwächst. Denkbar wäre es, hinsichtlich eines politisch aktiven Künstlers zu fragen, welcher Sache er sein Leben und Werk gewidmet hat und inwieweit Lebensführung und Werk auseinanderdriften. Bei Wagner etwa besteht hier Kongruenz. Sein Leben wie sein Schaffen dienten dem Faschismus. Pablo Neruda und Miki Theodorakis haben sich Widerwärtiges zuschulden kommen lassen – über weite Teile ihrer langen Leben jedoch haben sie sich persönlich, politisch und künstlerisch für das gute eben für alle eigesetzt. Ihre Fehler sind damit nicht zu entschuldigt – dafür hätten sie um Verzeihung bitten müssen. Aber sie lassen sich so möglicherweise im rechten Maß betrachten.“

„Was löst das Wissen um Fehlverhalten von Künstler*innen in mir aus?
1. Es bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass Kunstwerke eine Autonomie haben, d.h.
2. Ich möchte als Chorsänger die Kunstwerke, die wir singen, so gut wie möglich erarbeiten u. aufführen, auch wenn ich teilweise persönlich nicht mit allen Inhalten übereinstimme
3. Damit hat das Wissen um persönliches Fehlverhalten von Künstlern erst mal nichts zu tun
4. Wie Pablo Neruda mit Frauen umgegangen ist oder Mikis Theodorakis über Israel / Judentum gedacht hat, diese Fragen sind in Essays zu diesen Themen oder Biographien zu klären
5. Wenn die Philharmoniker das „Meistersinger-Vorspiel“ von Wagner aufführen, erwarte ich keinesfalls, dass sie mich darüber aufklären, dass er Antisemit war, was er ohne Zweifel war.
6. Darum spreche ich mich klar dafür aus, dass der Chor sich offiziell nicht zu den Fehlverhalten äußert, da dies nicht das richtige Forum dafür ist und die Rezeption des Kunstwerkes unangemessen negativ beeinflussen würde.“

„Wenn ich etwas Kritisches über Künstler (u. Künstlerinnen) erfahre, beschäftigt es mich. Allgemeingültige Aussagen kann ich aber nicht treffen. Jeder „Fall“ ist ja anders. Im Chor finde ich eine Debatte wichtig. Am wichtigsten ist mir, dass alle Standpunkte zugelassen werden & man sich offen & ehrlich gegenseitig zuhört. Niemand sollten seine /ihre Emotionen abgesprochen werden.“

„Es ist der eigenen Aussage von P. Neruda zuzuschreiben, dass wir von seinem moralisch zu verurteilenden Verhalten wissen. Ohne dies wäre er Nobelpreisträger ohne Tadel. Von wenigen wissen wir mehr.“

„Oh je… nicht noch einer!“

„Das Fehlverhalten ist nur eine Facette des Künstlers. Der künstlerische Wert des Stückes sollte unabhängig davon gesehen werden. Der Chor hat sich klar zum Fehlverhalten positioniert.“

„Ich habe mich stets darum bemüht, das menschliche Verhalten weder zu beklagen, belachen oder verdammen, sondern zu verstehen.“ – Spinoza

„Der Chor sollte keine Stücke von Komponist*innen aufführen, die offen rassistisch, sexistisch oder antisemitisch sind/ waren. Wir sollten weiter weiblichen und/ oder diskriminierten Künstler*innen Raum & Bühne verschaffen.“

„Ich finde wichtig, dass das Thema offen diskutiert wird und nicht tabuisiert wird. Das hat unser Chor ganz richtig gemacht! Jede/r Sänger/in wird seine / ihre persönliche Haltung u. Emotionalität haben. Das Werk betrachte ich unabhängig von dem Fehlverhalten. Das gelingt mir, weil es lang her ist und der „Täter“ nicht mehr lebt.“

„Kein Mensch ist perfekt + frei von Fehlern. Kunst kann + darf nach ihrem Inhalt beurteilt werden, auch nach ihrer Intention – dann kann die Persönlichkeit des/r KünstlerIn außen vor bleiben. Der Chor als ausführendes Instrument sollte sich von Vergehen distanzieren + sich auf das Werk konzentrieren.“

„Entrüstung. Betroffenheit.In welchem Verhältnis stehen Werk, Verhalten, Lebenslauf…? Zur Sprache bringen, nicht verschweigen!“

„Nerudas eigene Schilderung der Vergewaltigung einer Angestellten durch ihn selbst löst in mir Abscheu aus: Nicht nur weil er, der mit dem Canto General einen antikolonialistischen Text geschrieben hat, in dem Macht und Unterdrückung kritisiert wird, selbst Macht und Unterdrückung ausübt, sich das Recht herausnimmt, von einer anderen Person körperliche Unterwerfung einzufordern bzw. einfach zu nehmen, sondern auch, weil er zugleich versucht, durch seine Formulierungen diesen Gewaltakt zu beschönigen, lyrisch zu verpacken, dem Ganzen gar etwas Künstlerisches abzuringen. Gleichzeitig löst diese Schilderung in mir auch die Resignation derjenigen aus, die darum wissen, dass dergleichen auch heute noch geschieht. Viel zu oft. Viel zu oft unbemerkt. Wie offenbar auch in Nerudas Fall… Eine solche Tat vom Künstler zu trennen halte ich für eindimensional. Vom Chor würde ich mir wünschen, dass der Canto General nicht aufgeführt wird, ohne eben auch diese andere, schwer zu verkraftende Seite Nerudas aufzuzeigen. Generell wünsche ich mir jedoch, dass in Zukunft mehr Künstler:innen zu Wort und Ton kommen, die Unterdrückung erlebt haben, ohne sie selbst auch an anderen Menschen auszuüben.“

„Die Frage nach der Integrität von Künstler*innen, der Bedeutung Ihrer Kunst und meiner „Partizipation“ daran beschäftigt mich schon lange. Rassismus, Sexismus, häusliche und sexualisierte Gewalt in der Kunst, im Kunst- und Kulturbetrieb und im Leben überhaupt sind Realitäten. Es ist unsere Verantwortung als Menschen und als Bürger*innen darüber zu sprechen, damit sie ans Licht kommen und damit wir auf unterschiedlichen Ebenen damit arbeiten. Das Spannungsverhältnis verschwindet nicht, wenn wir Filme nicht ansehen, Bücher nicht lesen und Musik nicht aufführen. Der Chor hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich mit der Vergewaltigungsszene in Nerudas Autobiografie auseinanderzusetzen und wird sie öffentlich zu kommentieren. Das ist eine Möglichkeit Verantwortung zu übernehmen.“

„Ich glaube ganz fest an einen Gott, der perfekt ist. Ich glaube aber auch, dass wir in einer Welt leben, die gefallen und zerbrochen ist, darin auch alle Menschen wie auch ich. Das, was wir schaffen und kreieren – unsere Werke, unsere Kunst – ist also auch unvollkommen. Ich feiere das Wunderbare, das Inspirierende, das Großartige an unserer Kunst und glaube sogar, dass Gott dadurch auf verschiedenen Weisen zu uns spricht, ja sogar mit gefallenen Menschen als Sprachrohr.“

„Es ist ein großer Fortschritt, dass sich in den letzten Jahren im Bereich der Kunst und Kultur wie allgemein in der Gesellschaft ein gesteigertes Bewusstsein und eine hohe Sensibilität für die Problemfelder sexuelle Gewalt, Machtmissbrauch, Rassismus, Diskriminierungen aller Art, etc. entwickelt hat. In der Kunst werden aktuell sowohl die künstlerischen Werke als auch die Künstler*innen als Personen sehr genau auf diese Aspekte hin begutachtet. Die Meinungen, wie damit umzugehen sei, welche Konsequenzen gezogen werden sollten, sind sehr unterschiedlich. (Sehr ärgerlich und für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander äußerst destruktiv, ist die Richtung, dass die Diskurse leider in letzter Zeit von politischen Parteien und Gruppierungen unsachlich und emotional für eigene Interessen missbraucht werden.) Manchen sind die Diskurse zuviel, sie finden die Auseinandersetzung übertrieben, und überhaupt‚ ‚ist das ja dann eine Fass ohne Boden‘. Ja, es ist ein Fass ohne Boden. Ich finde es sehr gut, dass diese Fässer, endlich, alle aufgemacht werden. Und ja, wie damit umgehen, ist eine äußerst schwierige, komplexe Frage, die in jedem Fall wieder neu verhandelt werden muss. Im konkreten Tatbestand der sexuellen Gewalt, die Pablo Neruda gegenüber einer Frau ausgeübt hat, gibt es für mich keinen Spielraum der Diskussion. Im Jahre 2023 kann das für mich nur verurteilt werden, ohne jegliches relativierendes Lavieren. Die Entscheidung der Berliner Cappella, den Canto General aufzuführen, trage ich mit, weil dieses Werk keinen Inhalt von individueller sexueller Gewalt gegenüber Frauen reproduziert, und innerhalb des Chors eine für mich tatsächlich vorbildlich Auseinandersetzung stattgefunden hat, die der Öffentlichkeit transparent zugänglich gemacht wird und einlädt, sich eigenständig mit der Thematik zu beschäftigen.“

„Wir alle haben Licht- und Schattenseiten in uns.Wenn wir das reflektieren und unser Verhalten ändern, uns entschuldigen, ist das eine positive Veränderung.Wir können uns dann auch unser Fehlverhalten vergeben. Mit dieser Einstellung kann ich vergeben. Neruda hat ein Meisterwerk aufgeschrieben und Mikis theodorakis hat es in Musik gesetzt.Ich möchte, dass viele Menschen diesen wunderbaren CANTO GENERAL hören.“