Im September 2023 jährt sich zum 50. Mal der Putsch gegen die Regierung Salvador Allende in Chile. Eine frei gewählte sozialistische Regierung, die keinen totalitären Charakter erkennen ließ, wurde aus dem Amt gejagt und durch ein 16 Jahre andauerndes Militärregime ersetzt, dessen brutaler Folter und Unterdrückung mehrere Tausend Menschen zum Opfer fielen, was wiederum eine Welle von insgesamt an die eine Million Flüchtender zur Folge hatte.
Der „Canto general“ ist ein aus Texten des chilenischen Dichters, Schriftstellers, Diplomaten und Literaturnobelpreisträgers Pablo Neruda (1904–1973) entstandenes Oratorium des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis (1925-2021).
Der Gedichtzyklus – mit 231 Gedichten und über 15.000 Zeilen wahrhaft ein „Großer Gesang“ – beschreibt die Entstehung und Geschichte des südamerikanischen Kontinents von der Vorzeit bis zur Gegenwart. Einen wichtigen Platz nehmen die Kolonialisierung und der Kampf um Unabhängigkeit ein. Mikis Theodorakis wurde zu seinem „Canto“ 1970 während eines Chilebesuchs inspiriert, zu dem er von Neruda als chilenischem Botschafter in Paris – dem Ort seines eigenen Exils – eingeladen worden war.
Die Textauswahl stammt von Neruda selbst und seinem Freund, dem chilenischen Präsidenten Salvador Allende. Die ersten sechs Teile kamen 1974 in Paris zur Uraufführung. 1976 fügte Theodorakis ein „Neruda Requiem Aeternam“ hinzu. Die noch einmal ereiterte Endfassung wurde 1981 in Ost-Berlin erstaufgeführt. Die erste Aufführung des Werkes in Chile fand erst 1993, also vor genau dreißig Jahren statt.
Anders als die Vertonung, die Theodorakis 1970 in Chile gehört hatte, wurzelt die Tonsprache seines Canto in der traditionellen griechischen Musik. Das Werk folgt einer einfachen, dreiklangorientierten Harmonik, nimmt jedoch in seiner ausgeprägten Rhythmik Modelle griechischer Tänze auf. Den früher entstandenen größeren Teilen, die den Chören eines Oratoriums gleichen, stehen die später hinzugefügten, kleineren Teile gegenüber, die in ihrem choralartigen Charakter eher lyrisch sind.
Kontroversen um Künstler*innen – wie gehen wir damit um?
Es fällt uns schwer, mit diesem Konzert auch Pablo Neruda persönlich zu ehren, dessen Todestag sich am 23. September ebenfalls zum 50. Male wiederholt hat. Der Grund dafür ist, dass der Dichter und Literaturnobelpreisträger in seiner Autobiografie gesteht, als junger Mann während seiner Stationierung als Konsul in Ceylon 1929 sexualisierte Gewalt gegenüber einer Frau ausgeübt hat. Vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren durch die #MeToo-Bewegung ausgelösten Debatte über die Probleme von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in ihren unterschiedlichsten Formen hat die Kenntnis dieser persönlichen Verfehlung zum Probenbeginn zu einer lebhaften Debatte im Chor geführt.
Im Zuge der Beschäftigung mit diesem Thema kamen auch Kontroversen zur Sprache, die 2003 und 2011 um Äußerungen von Mikis Theodorakis zur Politik Israels geführt wurden, welche als antisemitisch aufgefasst wurden. Wenngleich Theodorakis den Vorwürfen durch verschiedene Klarstellungen entgegengetreten ist und seine Position später als antizionistisch bezeichnet hat, möchten wir an dieser Stelle deutlich machen, dass wir antisemitische Haltungen verurteilen und uns von ihnen ebenfalls distanzieren.
Nähere Informationen zur Diskussion im Chor und einzelne Meinungen können hier nachgelesen werden.
Dieses Konzert ist ausverkauft – wenige Restkarten gibt es noch an der Abendkasse.
Mikis Theodorakis: Canto General
BERLINER CAPPELLA + Instrumentalensemble
Solist*innen:
Alexandra Urquiola (Mezzo), Elias Arranz (Bariton)
Leitung: Sergi Gili Solé